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Nachruf auf das "Wintermärchen" von der Handball-WM
Deutschland, einig Ballermann
Neue Rheinische Zeitung - Sport
Von Tanja Krienen
"Handball-Helden" - auf der DHB-Webseite
Foto: DHB-living sports
"...denn schon, wo viele Gäste sind, ist viel Pack - und hätten sie auch
sämtlich Sterne auf der Brust. Überhaupt aber tragen glänzende,
rauschende Feste und Lustbarkeiten stets eine Leere, wohl gar einen
Misston im Innern, schon weil sie dem Elend und der Dürftigkeit unseres
Daseins laut widersprechen, und der Kontrast erhöht die Wahrheit...So ist
denn fast alles in der Welt hohle Nüsse zu nennen." Aus "Paränesen und
Maximen" von Arthur Schopenhauer.
Was in der Nacht zum 10. November 1989 begann, erlebte gestern einen
weiteren Höhepunkt - wo anders als in Köln?
Handball
Bei unzähligen Sauflauben am Ballermann und ähnlichen Orten, lernten die
Deutschen die Welt kennen - und veränderten das eigene Land nachhaltig.
Selbst die Hupe wird inzwischen auf jedem Dorf so gebraucht, wie im
Feierabendverkehr zu Kairo. Vom "Südländische Flair" ist heute jener
importierte Misston um Mitternacht übrig geblieben, der dir den Schlaf
raubt. Sie reden von der Klimakatastrophe, doch die, die sie selber
darstellen, wird ihnen nicht mal bewusst, wenn man ihnen den Spiegel
vorhält. WIR, das sind wir sehr real, wenn es "geil" ist, doch WIR sind
nur abstrakt, wenn es real werden soll. Schuld ist die Industrie, die
Politik, "der Bush"- nicht wir, nicht "meine Familie", nicht mein
eigener Leib, jener, mit ein bisschen Hirn daran. Der läuft quasi außer
Konkurrenz mit und könnte, wenn er wollte, will aber nicht, wenn er
muss, weil: das wäre uncool. Und cool sein will er nur dann, wenn es
heiß zugeht - vor allem auf den Zuschauer-Rängen, versteht sich.
Sie malen sich Farben ins Gesicht, tragen komische Hüte, hüllen sich in
Fahnen ein - um was geht, ist ihnen dabei wurscht und schnurz,
Hauptsache: Sie sind adabei. Der inszenierte Frohsinn, der amokartige
Jubel, die überbordende Borderline-Exzentrik - sie ist alles andere, nur
keine Freude, die den eigentlichen Anlass beinhaltet. Dieser rückt in
den Hintergrund, da "wir doch alle" Fußball-, Handball- oder
Biathlonfans sind. Da wird selbst das Verrückteste zum Sport erklärt,
und sei es auf Scheiben schießen und Ski fahren (Warum nicht auf Hunden
reiten und Purzelbaum schlagen?), wichtig ist die "Äktschen", und dass
am Ende das WIR zum Sieg geführt wird, wenn schon das ICH sonst nichts
darüber entwickelt.
Selbstverständlich ist Jubeln erlaubt. Wer wirkliche Freude empfindet,
wird dies tun: kurz, angemessen, gezielt, begründet, echt. War die
Fußball-WM 1974 ein Ereignis, das auf immer präsent sein wird, mit
normaler Begeisterung, Fußballfans mit SACHVERSTAND und einem
gewachsenen Interesse in der Sache und wegen der Sache, war die WM 2006
nicht nur die sportlich jämmerlichste (auf gleicher "Höhe" mit der von
1990), sondern auch völlig belanglos (man frage mal spontan eines dieser
Jubelmädels in der Fußgängerzone, wer denn "unser" Auftaktgegner im Juni
war und wie das 3. Vorrundenspiel gegen wen endete). Geschichten wurden
gemacht, sie ereigneten sich nicht wirklich.
Nicht anders nun bei der Handball-WM (die ganze Unkenntnis spiegelte
sich auf dem Gesicht des Bundespräsidenten ab, noch mehr, als in seinen
Reden zur Nation). Die stereotypen Reaktionen nach dem Abpfiff sprachen
für sich. Man könne "das jetzt noch nicht realisieren", würde "später
erst begreifen, was passiert ist", sei "überwältigt von dem Jubel",
kurz: das Hier und Jetzt wird zur Geschichte erklärt und mit Bildern,
die andere herstellen, und denen man erst entsprechen muss, modelliert.
Sie fertigen Schablonen, stanzen Fragmente, füllen sie zum Schluss mit
kalkulierten Wort- und Emotionshülsen auf. Die Legende bildet Mythen und
schafft sich selbst. Sie aber schaffen den Sport ab.
Es jingelt der Mitklatschklingelton nach den Toren, sogar vor den
Siebenmetern dröhnt die Lautsprecherbox Bumm-Bumm-Rhythmen - und kein
Torwart verweigert die Aufstellung, da er sich gestört fühlt. Niemand
fühlt sich gestört. Es stört, wer darauf hinweist, dass er so nicht
spielen kann.
"Die Hochkultur hat das Ringen mit der Massenkultur verloren", sagt
Sloterdijk in der aktuellen PSYCHOLOGIE HEUTE. Treffend das (im Detail
darf widersprochen werden), denn: Der Massenmensch will in der Masse
sein, will die Masse sein, will in ihr untergehen. Dies ist wörtlich zu
nehmen. In Mel Gibsons "Apokalypto" steht die Maya-"Kultur" nicht mehr
im Zenit - ihr Stern sinkt bereits, als sie ihre Schlachtfeste, Kriege
und Kulte feiern. In diesem Moment legen die Schiffe der Spanier an...
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