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Betreff: Die Woche, 26. Januar 2001: Grauen und Infamie

Torrevieja, den 28. Januar 2001

Ach, wie viele Jahre verbrachte er dort oben in seinem Elfenbeinturm, nachdenkend und schreibend; Altes verwerfend und Neues belebend; eines Morgens aber, sehr früh war es und kalt, stand er auf, stapfte die unzähligen Stufen hinab, trat ins Freie, drehte sich ruckartig in alle Himmelsrichtungen und sprach dabei die Worte: "Werdet militant! Werdet militant!"

Oben, es war noch gar nicht so lange her, hatte er dem "Nichtsystematiker" Nietzsche in "Regeln für den Menschenpark", die Menschenzucht betreffend beigepflichtet und Verbesserung erhofft, "Wenn Nietzsche vom Übermenschen spricht, so denkt er ein Weltalter tief über die Gegenwart hinaus", doch nun fällt Peter Sloterdijk, wie weiland der mitleidende Philologie-Professor in Turm, der gedemütigten Kreatur allzu heftig um den Hals. Zwar wissen wir nichts genaues, kennen die Ursache der Katastrophe nicht, noch ihren wirklichen Umfang, doch der Philosoph freut sich der apokalyptischen Wirkung, als wäre diese - wie auch das andere Mysterium, dem man den Namen AIDS gab, von nicht wenigen klammheimlich als Menetekel der zügellosen Enthemmung gefeiert - eine notwendige Katharsis auf dem Weg ins Glück, partiell insgeheim ebenso leidenschaftlich begrüßt, wie die wachsweiche Theorie, einer quasi göttlichen Abstrafung durch die begangene "Pfuscherei" ins Handwerk seiner transzendenten Hoheit.

Sollten wir Nachsicht üben? Für Peter Sloterdiik besteht, darin ähnelt er seinem seligen geistigen Mentor Martin Heidegger, das Faktum KZ, als lediglich abstrakt-philosophischer Terminus, der, von ihm herab kodiert und verzerrt, zum Synonym für barbarische Zustände herhalten muss, ohne jedoch den schlüssigen Beweis der BegrIffskompatibilität für Tierzuchtanstalten zu erbringen. Politisch-philosophisch werden so Dämme gebrochen, Berge eingeebnet, Seelen unrettbar ins Feuer gestoßen und Tierleid zur privat-öffentlichen Abarbeitung des "Ausschwitz-Komplexes" verbogen.

Fürwahr, - Tiere sind keine Reflexmaschinen; auch sind jene zu beunruhigen, welche die Zucht von Tieren ausschließlich unter dem technisch-ökonomischen Aspekt sehen, sich vielleicht gar auf Darwin berufen, aber seinen berühmten Satz nicht kennen: "Wohlwollen über die Schranken der Menschen hinaus, das heißt Menschlichkeit gegen die Tiere, scheint eines der am spätesten erworbenen sittlichen Güter zu sein", beachtenswert, wie auch Pudelspezi Schopenhauers schroffe Schelte: "Mitleid mit Tieren hängt mit der Güte des Charakters so genau zusammen, dass man zuversichtlich behaupten darf, wer gegen Tiere grausam ist, könne kein guter Mensch sein." Die Keule KZ, als Bezeichnung für Massentierhaltung herauszuholen, hieße aber, analog dazu, eine Gaspatrone, abgefeuert auf einen Angreifer, in den Stand eines Atombombenabwurfs zu erheben!

Ein gequältes Rind kann die entsetzliche Lage, entstanden durch Moralverstöße unterschiedlichster Art, nicht einem unschuldig inhaftierten Menschen gleich, reflektieren. Es leidet nicht an der Melancholie, denkt nicht an die Tage unbeschwerter Kindheit, fragt nicht nach Mann oder Frau, Vater und Mutter, Bruder und Schwester, sieht nicht im Geiste auf ewig verlorene Dinge an sich vorüberziehen, - es kann weder lieben, noch hassen! Aber, es leidet, so wie der Mensch leidet - an seinen Schmerzen.

"Mögen alle lebenden Wesen von Schmerzen frei bleiben!"
wünschte sich philosophierend Arthur Schopenhauer, nicht ahnend, dies wäre ein schöner, aber leider allzu frommer Wunsch, ein positivistisches Segment gar aus seinem Hauptwerk "Die Weit als Wille und Vorstellung"

Unbestritten bedurfte es mitfühlender Utopien, neben den klar realistisch analysierenden psychologischen Beschreibungen z.B. eines Friedrich Engels:"Nun liegt es schon in der Abstammung des Menschen aus dem Tierreich, dass der Mensch die Bestie nie völlig los wird, so dass es sich also immer nur um ein Mehr oder Minder, um einen Unterschied des Grades der Bestialität resp. Menschlichkeit handeln kann... je mehr der werdende Mensch sich von der Pflanze entfernte, desto mehr erhob er sich über das Tier." Die Engels-Definition bringt uns dialektischen Schlüssen näher. Das Sterben eines Tieres, durch künstlich herbeigeführtes Töten in den Schlachthöfen der Welt, bleibt ein abscheulicher Akt. Der einzige und überzeugende, wenngleich in stillen Stunden kaum tröstliche Grund, der die Tötung und den Verzehr von Tieren rechtfertigen kann, lautet: Es ist ein grundsätzlich natürlicher Akt, der unablässig in der ungezügelten Natur, überall und in jedem Moment geschieht!

Wenn Carl Amery aber empfiehlt selbst Beute jagend zu spießen, zu schießen, zu stechen, zu lynchen und auszuweiden, dabei Respekt! schreiend, bedauernd etwa gar den unterentwickelten Killerinstinkt der durchschnittlichen deutschen Hausfrau als wäre dies nicht ihr verzeihlichster Fehler - dann scheint der Verstand im Blutrausch hin zu siechen, wird die hypothetisch Frage, ob sich die schriftstellerische Kaste eventuell der virtueller Mohrhuhnjagd hingibt, grotesk obsolet,

Nein, die entritualisierte Aufnahme fleischlicher Nahrung, also der Gegensatz zur Zelebrierung des Opferverzehrs als das Ergebnis ausgelebter Jagdinstinkte, erhöhen den Menschen um jene Qualität, weiche die Sensibilisierung zur Grundbedingung der Erlangung von Humanität voraussetzend benötigt.

Gänzlich tragisch kommt der Fraktionschef der LPG-Lobbyistenpartei a.D. und Berliner Bürgermeisterkandidat in spe, Jurist und Rinderzüchter Gregor Gysi, daher und schwadroniert zeitgeistig-konformistisch vom Menschen, der sich als Teil der Natur verstehen sollte, schweigt allerdings verschämt, ob er eine Vertierung des Menschen wünscht oder vielleicht doch eher einer falschen Vorstellung der Natur aufsitzt, die ihn, den gewendeten Einheitssozialisten, aufs Glatteis führte. Wie viel Natur hätte der Polit-Idealist Gysi denn gern? Empfindet er mit dem Hasen, der vom Fuchs geschlagen wird? Leidet er mit der Heuschrecke, die vom Vogel, - mit der Fliege, die von der Spinne, gefressen wird? Meint er, lautloses Sterben stummer Geschöpfe negieren zu können, und glaubt er wohlmöglich, ein unreflektiertes Schlachten wäre nicht bestialisch, wenn es gelänge, die vor dem Tode Brüllenden, nach ihrer Hinrichtung sozialisiert zu vertilgen?

Es gibt ein weniger bekanntes Bild Salvador Dalis aus dem Jahre 1928, übertitelt "Pájaro putrefacto", offiziell, doch unzulänglich ins Deutsche übersetzt mit "Vogelkadaver", welches einen "natürlichen" Vorgang beschreibt. .."Verwesender Vogel", so die korrekte Übersetzung, - er lebt noch und doch, wird der Zustand des Vergehens unmittelbar im nächsten Moment eintreten. In einer unwirklichen, dunklen Landschaft, dem Boden nahe, Schutz suchend, den auch die kahlen Bäume nicht geben, immer noch fliegend, fliehend mit weiten flatternden Flügeln, wohlmöglich schon trudelnd, es nicht fassend könnend, die Augen todesängstlich geweitet, beinahe kopfgroß kreisrund, schräg nach oben den Feind erblickend, in der Vorbereitung des entscheidenen Schlages, jenen Feind, ein ETWAS, eine unbestimmte Kreatur, spitz auf den zehenlosen Stümpfen stehend, sich reckend, mit Gamaschenfell bezogen, Horn tragend, skelettierte Zähne fletschend, herausragend aus dem verborgenem Kopf, ein lebendiges Grauen, welches auf unbestimmt zähligen Beinen sein Opfer misst, und im nächsten Moment, Täter im freien Spiel der natürlichen Kräfte wird.

Wie aber kam es zur Umarmung des Tieres durch Friedrich Nietzsche? Zur gesteigerten psychischen Sensibilität, nehme man das Bromwasser, also eine gebräuliche Chloralform dieser Jahre, des Dr. Carlo Turina aus Turin hinzu, versetze sich zudem in einen philosophisch-erlöserartigen Zustand, und schon sieht man einen gequälten Droschkengaul, dem jedoch an diesem kalten Januarmorgen des Jahres 1889, nichts anderes wiederfuhr, als an anderen Arbeitstagen, und höchstwahrscheinlich unter dem handgreiflichen Zunahe treten des Herrn mit dem altmodischen Anzug und den schluchzend hervorgebrachten, den Pferdeohren gar nicht eingänglichen Geräuschen, einem größeren emotionalen Stress ausgesetzt war, als er es jemals wieder in seinem bescheidenen Nutztierleben ertragen musste.

Tanja Krienen

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