"Deutschland ist ein wunderbares Theaterland"


Interview mit der Intendantin des "Theater des Ostens", Vera Oelschlegel

Von Tanja Krienen

Ort: Garderobe. Zeit: eine Stunde vor dem Auftritt. Situation: Gespräch, während sich die Schauspielerin für die Maske vorbereitet.


Tanja Krienen: "Der Name der Rose" wurde ja zunächst durch das Buch, mehr aber durch den Film mit vielen internationalen Stars bekannt. Welches sind aus ihrer Sicht die größten Unterschiede und Besonderheiten zwischen der Umsetzung des Stoffes zu einem Film - bzw. Bühnenwerk?

Vera Oelschlegel: Die größte Schwierigkeit liegt darin, sich zu entscheiden, was weggelassen werden kann und trotzdem die Geschichte nicht zu sehr beschädigt. Der Teufel steckt im Detail.

Tanja Krienen: Gibt es ein Beispiel wo Sie sich gefragt haben, was Sie weg lassen können, und welche Inhalte unbedingt wichtig sind?

Vera Oelschlegel: Die Architekturbeschreibungen des Originals kann man zum Beispiel nicht umsetzen. An der Geschichte muss man aber eng dranbleiben. Bei diesem Stoff ist es besonders wichtig, auch die philosophischen Aspekte zu betonen.

Tanja Krienen: Sie spielen im Stück eine Männerolle, den Jorge von Burgos.

Vera Oelschlegel: (wirft schmunzelnd ein) Es gibt ja leider nur wenige Frauen im Buch.

Tanja Krienen: Sicher, wie soll es bei diesem Thema auch anders sein? Aber gibt es noch einen besonderen Aspekt dabei?

Vera Oelschlegel: Bei Kindern und Greisen verwischen sich die Geschlechtsmerkmale sowieso. Der Jorge muss zudem etwas Unheimliches haben, und die Überlegung ist, wenn sich eine Frau dahinter verbirgt, dass es der Figur noch etwas Befremdlicheres gibt. Mich werden Sie gleich nicht wieder erkennen. (lacht)

Tanja Krienen: Sie haben ja auch schon ein Nietzsche - Programm in Szene gesetzt. Nun folgt der Eco. Haben sie ein Faible für religionskritische Stoffe?

Vera Oelschlegel: Nicht, dass ich das besonders hervorheben würde. Was uns aber doch alle beschäftigt, ist die Frage nach dem Sinn des Lebens, wie sie in Nietzsches Philosophie gestellt wird. Selbstverständlich beinhaltet die Auseinandersetzung mit der Sinnfrage auch die Beschäftigung mit dem Unsinn, der als Sinn angeboten wird und zum Missbrauch einer guten Idee werden kann.

Tanja Krienen: Früher hatten Sie ein festes Theater, das TIP - Theater im Palast (der Republik) ? heute aber sind Sie mit einem "Tournee-Theater" unterwegs. Wobei man sagen muss, dass Sie auch vor der Wende schon viele Gastspiele absolvierten, auch in der damaligen Bundesrepublik. Worin aber liegen die Vor- und Nachteile der Theater-Formen?

Vera Oelschlegel: Deutschland ist ein wunderbares Theaterland im Vergleich zu allen anderen Ländern der Welt. Eine solche Theaterdichte gibt es nicht noch einmal. Die Möglichkeit für das Tournee-Theater sind sehr gut, da etwa 500 Kommunen in Deutschland Theatergebäude unterhalten und dem Publikum einen regelmäßigen Spielplan bieten. Theater als gesellschaftliches Leben ? das ist schon toll! Natürlich hat sich die Funktion des Theaters im Vergleich zur DDR gewandelt. Unsere Erfahrungen sind aber sehr positiv ? auch mit dem Publikum.

Tanja Krienen: Wo steht Ihrer Meinung nach das deutsche Theater heute? Konkret: Wie bewerten Sie die Qualität und die Trends, z.B. die ständigen Überarbeitungen und "Modernisierungen" der Fassungen? Um ein Beispiel zu geben: Vor geraumer Zeit sah ich die "Mutter Courage", die statt eines Planwagens, eine große Tiefkühltruhe auf die Bühne ziehen musste. Da habe ich das Theater umgehend verlassen.

Vera Oelschlegel: Die Sache ist so alt wie das Theater selbst, dieses Bestreben, das Rad neu zu erfinden. Ich bin sehr für das Partiturspielen! Die besondere Sicht sollte aber aus der Tiefe, nicht aus Oberflächlichkeiten geholt werden, also nicht daraus, den Hamlet in Jeans zu präsentieren?

Tanja Krienen: Zum Abschluss eine kulturpolitische Frage: Der ehemalige Ostberliner, der nun Gesamtberliner Ehrenbürger werden soll, ist Wolf Biermann. Auf welcher Seite stehen Sie bei dem Streit, der um die Nominierung entbrannte?

Vera Oelschlegel: Ich bin schon der Meinung, dass er sie bekommen sollte. Die Auseinandersetzung mit seinem Werk und seiner Person ist ein ganz wunder Punkt der Kulturgeschichte der DDR. Aber auch die dunklen Seiten gehören dazu.

Tanja Krienen: Ich bedanke mich sehr für das Gespräch. Vera Oelschlegel war in der DDR eine bekannte Bühnen- und Filmschauspielerin, Theaterintendantin und Brecht-Interpretin. 1976 gründete sie das renommierte TIP (Theater im Palast der Republik), das bis 1990 bestand. Danach erfolgte die Gründung des "Theater des Ostens" als "Tournee-Theater", das seitdem in den vergangenen Jahren immer wieder durch qualitativ hervorragende Produktionen von sich reden machte. Die keineswegs ideologisch angepasste Oelschlegel unterrichtete außerdem als Honorarprofessorin an der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch". Sie war zuletzt mit dem SED-Staatsratsmitglied Konrad Naumann verheiratet, zuvor jedoch mit Hermann Kant, Schriftstellerverbandsvorsitzender der DDR, und als solcher Nachfolger der international bekannten Emigrantin Anna Seghers ("Das siebte Kreuz"). Bereits 1991 erschien im Ullstein-Verlag Oelschlegels viel beachtete Biographie "Wenn das meine Mutter wüsste".


Bilder:

Oben: Vera Oelschlegel - auch Buchautorin: "Wenn das meine Mutter wüsste"
Foto: Nina Rücker

Unten: Vera Oelschlegel - als Jenny von Westphalen in "Salut an alle. Marx." von Hans Pfeiffer
Anfang der 80er Jahre
Foto: Marie Steinfeld