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An den Kreisvorstand der Deutschen Kommunistischen Partei

Hagen, November 1982

Hiermit möchte ich meinen Austritt aus der DKP erklären. Nach einer längeren Phase intensiven Nachdenkens, kam es zu diesem - mir nicht leicht gefallenen Entschluss - da man eine Partei nach fast fünf Jahren Mitgliedschaft und achtjähriger weitgehender Identifizierung mit ihr, nicht so einfach verlässt. Dennoch musste ich diesen Schritt, schon aufgrund meiner persönlichen Glaubwürdigkeit, ausführen.

Zunächst beabsichtigte ich meinen Entschluss, ausführlich bis in alle Einzelheiten zu begründen und zum Ende meiner Parteimitgliedschaft, eine Analyse der gescheiterten DKP-Politik zu erstellen. Von diesem Vorhaben rückte ich allerdings ab, als ich mir überlegte, welchen Sinn es überhaupt noch hat, mit der DKP zu diskutieren. Außerdem kann ich mir sehr gut Eure Reaktionen auf ein derartiges Papier vorstellen. Es wären die gleichen Reaktionen geworden, die Ihr wahrscheinlich beim Lesen dieser Austrittserklärung zeigt nur in wesentlich extremer Form. Die Reaktionen vieler Genossen stellen sich wahrscheinlich dar, in der bunten Palette abrufbarer Reizäußerungen, beginnend beim einfachen Kopfschütteln, bis hin zum bornierten ideologisch geprägten Insiderlächeln nach dem Motto: "Na ja, wir haben ja schon immer gewusst, das sie - trotz proletarischer Herkunft und zeitweiligen Standes - die kleinbürgerlichen anarchistisch-trotzkistischen Denkkategorien niemals überwunden hatte."

Trotz alledem werde ich es mir nicht nehmen lassen, einige Punkte, die unter vielen anderen die Gründe für meinen Austritt sind, im Folgenden darzustellen.

Da wäre als wichtigster und erster Punkt, das allseits bekannte blinde Verhältnis der Deutschen Kommunistischen Partei zum sog. real existierenden Sozialismus. Nicht das ich grundsätzlich etwas gegen diese Defensivformel scheinsozialistischer Umgestaltung hätte, nein, vielmehr habe ich etwas gegen eben jenen Scheinsozialismus selbst, der mit platten Phrasen künstlich einen revolutionären Anstrich erhält. Nun mag an dieser Stelle gleich wieder der berüchtigte Einwand kommen: "Aber die DDR hatte doch die schlechtere Ausgangslage. Denk doch nur an die Hochöfen ... Amen!

Aber ja, - die DDR ist revolutionär!

Die Intershops sind revolutionär, - weil man dort die schmarotzende, dekadente westliche Welt nicht nur sehen, sondern auch noch kaufen kann (natürlich gegen schmarotzende, dekadente Westdevisen).

Die 42 1/2 Stundenwoche ist revolutionär, -weil sie dem Klassenfeind tagtäglich zeigt, dass die Mehrwerttheorie eben nur eine Theorie ist.

Das stundenlange Warten vor Restaurants ist revolutionär, - weil dadurch der Mangel rationeller verwaltet, die Solidarität unter den Leuten gefördert und das Ellenbogenverhalten ganz sicher gemindert wird.

Der Mangel an Lebensmitteln (sprich Luxusgüter) ist wiederum revolutionär, - weil man ohne das Empfinden des Mangels gar nicht mehr wüsste, wie viel Luxus schon vorhanden ist!

Die dreckigen Toiletten sind revolutionär, - weil der westliche ausländische Nichtdeutsche nicht glauben soll, alle Deutschen wären penibel sauber.

Die niedrigen Renten sind revolutionär, - weil die Alten (sprich nichtproduktive Kräfte), gerne in den Westen abhauen dürfen, tun die revolutionären Neuigkeiten im Westen anzuwenden und den Imperialismus damit zu zersetzen.

Die Kindererziehung ist revolutionär, - weil auch Kinder schon über die marxistisch-leninistische Ästhetik des Krieges frühzeitig etwas erfahren sollen.

Der Zustand der Häuser ist revolutionär, - weil Hausbesetzer angesichts der Fülle zu besetzender Häuser völlig frustriert aufgeben und Wohnsilos (Neubaugebiete), ohnehin praktischer, kostengünstiger, quadratischer.. - eben so richtig DDR-revolutionär sind. Die Behandlung der DDR-Bürger im sozialistischen Ausland als Bürger zweiter Klasse ist revolutionär, - weil Devisen eben Devisen sind!

Das Herausstehlen von Waren aus Paketen, wohlgemerkt auch Waren, die man im Intershop erwerben kann, ist revolutionär, - weil .... siehe oben.

Die verwahrlosten asozialen Ferienlager sind revolutionär, weil man als Ausländer in einem DDR-Ferienlager einen hervorragenden Eindruck der gesamtgesellschaftlichen Zustände in kompakter Form dargeboten bekommt.

Dass DDR-Bürgern die Rechtsanwaltlaufbahn verweigert werden kann- wenn ein Verwandter im Westen wohnt ist revolutionär, - weil die Propaganda der 100 Milliarden Mark Schaden durch Abwanderungen spezialisierter Arbeitskräfte immer noch gefressen wird und somit zur Stabilisierung der DDR beiträgt.

Dass die meisten Qualitätsprodukte exportiert und deshalb von der eigenen Bevölkerung nicht gekauft werden können ist revolutionär, - weil die Bevölkerung daraufhin neue Gegenpläne erstellt. um die Vorjahreszahlen zu erhöhen, damit noch mehr Waren exportiert werden können, die wiederum auch nicht in den landeseigenen Geschäften auftauchen!

Ihr könntet ja nun fragen, was denn dieses alles mit der DKP zu tun hat?! Die Antwort darauf ist ganz einfach: Weil Ihr den ganzen Kram verteidigt! Ihr sagt dann, es gäbe sicher einige "Einzelerscheinungen' in der DDR, die Euch auch nicht passen, große Ganze' wäre doch in Ordnung. Ich jedoch möchte diesen Satz umdrehen behaupten, dass das "große Ganze" einen Dreck wert ist, wenn nicht die elementarsten Bedürfnisse der Menschen befriedigt werden können. Es gibt aber sicher ein paar "Einzelerscheinungen", die weitgehend positiv zu beurteilen sind, dazu gehört der wichtige Punkt der Außenpolitik der "sozialistischen Staate", die von einem großen Friedenswillen getragen wird, und nicht von platten Scheinfriedensphrasen vieler westlicher Politiker. Doch wäre der real existierende Sozialismus nicht der real existierende Sozialismus und die DKP nicht die DKP, wenn sie sich nicht auch auf diesem Gebiet einige Merkwürdigkeiten leisten würde. So muss man einmal einige Passagen in einem, in der DDR erschienenen Buche durchlesen, um sich als Kommunist wieder einmal kräftig schämen zu können. Der Gipfel der Lächerlichkeit wurde erreicht, als man DDR-Bürgern einen Aufnäher von der Jacke riss, auf dem ein sowjetisches Geschenk (!) an die UNO abgebildet ist (SCHWERTER ZU PFLUGSCHAREN , Anmerkung T. K. 2001). Ich befürchte beinahe, dass so etwas nur in einem Land möglich ist, in dem selbst der Text der eigenen Nationalhymne rächt gesungen werden darf Doch die DKP schafft es, verkrampft hier "Frieden schaffen ohne Waffen" und da "Der Frieden muss bewaffnet seid' zu verkünden. Die Rolle der DKP in der Friedenbewegung ist deshalb heuchlerisch, weil sie sich in der BRD gegen schleichenden Militarismus wendet, in der DDR aber militaristische Erziehung im Kindesalter für korrekt hält. Das Verhalten der DKP in der Friedenbewegung, obwohl ich hierbei nur ein paar herausstechende Fakten angeführt habe, ist somit der zweite Kritikpunkt.

Der dritte Punkt betrifft die Frage der Ökologie. Ganze 50 Zeilen widmet die DKP in ihrem Programm, den Fragen der Energiepolitik und des Umweltschutzes, während sie hingegen 54 Zeilen benötigt, um den eigenen Mitgliedern zu erklären, was denn so ein richtiger Kommunist eigentlich alles so macht; geschehen in dem hübsch übertitelten Kapitel "Was Kommunist sein heißt?". Ihr seid jetzt erbost und sagt: "Das ist doch wieder nur die Form, die du da kritisierst, die Inhalte sind aber doch entscheidend!" Na gut, sehen wir uns die Inhalte an...

Im Parteiprogramm heißt es: Deshalb ist sie (d.h. die DKP), auch grundsätzlich für die friedliche Nutzung der Kernenergie. " Davon abgesehen, dass wohl niemand grundsätzlich für die unfriedliche Nutzung der Kernenergie ist, so zeigt dieser Punkt besonders das uneingeschränkte Wachstumsdenken, welches in der marxistisch-leninistischen Philosophie begründet ist.

Dieser Punkt dokumentiert das fatale Schicksal des zweiten deutschen Staates, lässt sich doch die DDR, den Konsum und Produktionswettbewerb wunschgemäß aufzwingen und sieht nicht, dass die ökologische Katastrophe auch auf sozialistischen Sohlen heranschleicht.

Zu all den bisher aufgeführten Themen, könnte ich wesentlich detaillierte Aussagen treffen, dann allerdings wurde es eben jene Analyse werden, die ich doch so gerne vermeiden wollte. Aber ganz fertig bin ich noch nicht! Denn da wäre noch die Frage des Geistes und der Kunst.

1925 schrieben George Grosz und Wieland Herzfelde den Text: "Die Kunst ist in Gefahr. Ein Orientierungsversuch." Ich möchte aus der Passage über den Dadaismus kurz zitieren: "Diese deutsche Dada-Bewegung hatte ihre Wurzeln in der Erkenntnis, die manchen Kameraden und auch mir gleichzeitig kam, dass es vollkommender Irrsinn war zu glauben, der Geist oder irgendwelche Geistige regierten die Welt. Heute weiß ich und mit mir alle anderen Begründer des deutschen Dadaismus, dass es unser einziger Fehler war, uns mit der sogenannten Kunst überhaupt ernsthaft beschäftigt zu haben. Der Dadaismus war der mit Gröhlen und höhnischen Gelächter vollzogene Durchbruch aus einem engen, überheblichen und überschätzten Milieu, das, zwischen den Klassen in der Luft schwebend, keinerlei Mitverantwortung dem Leben der Allgemeinheit gegenüber kannte. Wir sahen die irrsinnigen Endprodukte der herrschenden Gesellschaftsordnung und brachen in Gelächter aus."
Dem ist nur hinzuzufügen, dass sich die derzeitige Situation kaum anders präsentiert. Goethe in Ost und West; feudalistische Soldschreiber wie Mozart oder Bach in Ost und West - plus sogenannte Arbeiterkonzerte der DKP; Pulidys und Karat in Ost und West; Wagner in Ost und West; Roy Black in Ost und West; Martin Luther in Ost und West; Karl May in Ost und West - und das Standbild Friedrich des Großen in Berlin - (Ost) !

So komme ich zum letzten, besonders hervorzuhebenden Kritikpunkt an der DKP, den man überschreiben könnte: Mysthische Verklärung des Faktors Arbeit! Vor wenigen Stunden hätte ich das Wort mystisch vielleicht in meiner Polemik weggelassen, doch da gelangte ein Artikel mitsamt der UZ auf meinen Mittagstisch, - ein Report: 7000 km durch Jakutien, dritter Teil eines Berichtes des Korrespondenten Helmut Weinand, mit der Überschrift "Wie die Söhne der Nomaden heute leben". Dieser "interessante" Artikel über das tapfere kleine Völkchen der Ewenen, das, wie eindringlich geschildert wird, sein heutiges Dasein nur dem Sieg der großen sozialistischen Oktoberrevolution zu verdanken hat, dieses kleine Volk also, zeigt uns, wie der Faktor Arbeit, die Lebenserwartung steigen lässt! Die 28-jährige Ärztin Olga Starostina, aus dem Ort Topolino, in dem Dank der sozialistischen Gesellschaft jetzt sogar die Wölfe mit Helikoptern vertreiben werden, sagt uns als Fachärztin für innere Medizin und Mutter zweier Topolinos, angesichts des Umstandes, dass die Menschen hier vor der Revolution nur 22 Jahre und nun 70 Jahre im Schnitt werden:
"Es ist die Arbeit! Die Arbeit und ein ausgefülltes Leben in der freien Natur. In unserer Sowchose gibt es nur alle Arbeit. Vertane Zeit kennen wir nicht! Und wer will kann auch noch mit 90 zupacken." Ich rechne: 65 Jahre Oktoberrevolution - 90 minus 22 - macht 25. Der Mann hätte bei Ausbruch der Oktoberrevolution schon 3 Jahre tot sein müssen! Wenigstens im Schnitt...
Aber deshalb heißt es wohl im Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Philosophie, unter dein Stichwort "Charakter der Arbeit": Mit dem Übergang vom Sozialismus zum Kommunismus nimmt die Arbeit allmählich kommunistischen Charakter an, d.h. sie wird zum ersten Lebensbedürfnis des Menschen!"

Ihr werdet nun wieder sagen, dass alles, was Du bisher geschrieben hast, ist doch durchdrungen vom Antikommunismus. Nun. wenn das, was Ihr vertretet, die kommunistische Ideologie ist, dann bin ich in der Tat Antikommunist. Geworden!!! Bei meinem Eintritt in die DKP habe ich ihren Standpunkt geteilt, und dieses sogar manchmal ziemlich blauäugig. Wer hat mich also zum "Antikommunisten" gemacht? Wer hat überhaupt die gesamte Bevölkerung zu "Antikommunisten' gemacht? Ist daran nur die Meinungsmanipulation des Großkapitals schuld, wie es auf Seite 29 im DKP-Programm steht? Noch mal aus dem Wörterbuch der inwästisch-lemnistischen Philosophie, Stichwort "Antikommunismus": Wesenszug der imperialistischen Ideologie und Politik, der alte ihre Formen durchdringt. So einfach ist das!

Weiter heißt es in dem Buch: "Die antikommunistische Propaganda bedient sich dabei mit Vorliebe revisionistischer und sozialdemokratischer Theorien (vom freiheitlichen, demokratischen, menschlichen Sozialismus). Eine zentrale Rolle spielt der Pluralismus, als eine Theorie, die .. die einheitliche marxistisch-leninistische Weltanschauung mit bürgerlichen Theorien durchsetzt.. um die Einheit der sozialistischen Weltbewegung zu zerstören." Unter dem Stichwort des bösen Pluralismus liest man dann: "Einen besonders ausgeprägten Charakter besitzt der Pluralismus in der Ideologie des Sozialdemokratismus. Im gegenwärtigen Revisionismus bildet die Pluralismuskonzeption in weltanschaulicher, politischer und ökonomischer Hinsicht ein konzeptionelles Zentrum der Verfälschung und Revision des Marxismus-Leninismus sowie des antikommunistischen Angriffs auf den Sozialismus. Die revisionistischen Auffassungen vom ideologischen, politischen und ökonomischen Pluralismus, richten sich gegen die einheitliche Theorie des Marxismus-Leninismus, gegen die Einheit und Geschlossenheit der kommunistischen Weltbewegung, gegen die führende Rolle der Arbeiterklasse, gegen den demokratischen Zentralismus, gegen die sozialistische Planwirtschaft und hat daher seinem politischen Inhalt nach, faschistischen Charakter."
Nein, ich gebe zu, ich habe jetzt ein bisschen geflunkert. Der letzte Satzteil, der mit dem Faschismus, ist von mir frei erfunden, wie leben ja nicht vor 33, da hätte man so etwas vielleicht noch geschrieben. Heute heißt es jedoch - wieder das vielzitierte Wörterbuch: "... und hat daher seinem politischen Inhalt nach imperialistischen Charakter:" So ändern sich die Zeiten!

Kleine polemische Überlegung zwischendurch: Da die DKP, die einzige marxistisch-leninistische Kraft in der BRD ist, so haben demnach alle anderen politischen Parteien (auch die SPD, die Grünen, die DS u.a.) ihrem politischen Inhalt nach "imperialistischen Charakter'. Nur die 0,2 %-Partei hat die Wahrheit gepachtet. Einsam und allein schwimmt sie gegen den Strom! Entschuldigung, aber auch dieser Vergleich ist nicht von mir. Er stammt vom Vorsitzenden (Herbert Mies, Anmerkung T. K. 2001) selbst, der auf der Landesmitgliederversammlung in Mühlheim/Ruhr, anlässlich der Eröffnung des Bundestagwahlkampfes 1983, in seiner Rede wörtlich sagte: "Ja, liebe Genossinnen und Genossen, in Zeiten, da wir zeitweilig (!) gegen den Strom schwimmen müssen, brauchen wir bei uns, brauchen wir in der Partei die Stimmung: Jetzt erst recht! Da brauchen wir die Rückbesinnung auf den Geist Karl Liebknechts: Trotz alledem!"
Trotz alledem? Trotz der historischen Fehler, die von Kommunisten begangen wurden? Trotz der zweideutigen Politik der DKP? Trotz des allgemeinen Misserfolges? Oder trotz des bösen Antikommunismus", der von allen Seiten rücksichtslos und ungeachtet des objektiv richtigen historischen und dialektischen Materialismus, auf die DKP einschlägt? Aber wie dem auch sei, Herbert Mies hat recht: IHR SCHWIMMT GEGEN DEN STROM!

Abschließend bleibt festzustellen, dass ich der Meinung bin, mit dieser DKP gemeinsam keinen Schritt mehr gehen zu können. Ich sage der DKP ferner voraus, wenn sie sich nicht ändert, ist sie zum Untergang verurteilt! Derweil kann ich nur hoffen, der berechtigte Protest in der Gesellschaft, möge sich nicht in den Irrweg DKP kanalisieren lassen! Ich möchte, da ich am Ende meiner Austrittserklärung angelangt bin, nur noch darauf hinweisen, dass ich bis zum Jahresende 1982 meinen Mitgliedsbeitrag voll bezahlt habe und somit meinen finanziellen Pflichten gegenüber der Partei nachgekommen bin. Das Mitgliedsbuch habe ich beigelegt.

Mit freundlichen Grüßen
T. Krienen


P.S. Zwischenzeitlich bin ich einer Partei mit imperialistischem Charakter beigetreten, sie führt sogar frech eine revisionistische Bezeichnung: Demokratische Sozialisten!

Der Lachende
Hat die furchtbare Nachricht
Nur noch nicht empfangen

     B. B.

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